KATARAKT
Die letzten Bilder im Pastorale-Zyklus deuten religiöse Motive an, sie sind auf dem Weg, das Erhabene der Moderne abzulösen durch ein sakrales Element. Katarakt steigt tiefer in die Geschichte des Sehens ab, geht zurück bis hinter den Moment, in dem die Landschaft als ein Gegenstand der Malerei erscheint: Der Zyklus baut einen Dialog auf mit den Heiligenbildern, wie sie in der Malerei der frühen Renaissance erscheinen – die Katarakt-Motive nehmen Piero della Francescas Bild des Heiligen Hieronymus auf, die Johannes-Motive beziehen sich auf das Bild des Täufers in der Einöde von Geertgen tot Sint Jans.
Katarakt zitiert die alten Heiligenbilder nicht, übernimmt sie nicht in einen neuen Kontext, sondern übersetzt sie – die imaginär festgelegte Figur wird geöffnet, defiguriert. Oft ist sie abstrahiert bis an die Grenze der Erkennbarkeit, bis nur noch etwas Massiges aus Farbe und aus Form erscheint, aus dem sich im Sehen nach und nach eine konkrete Gestalt bildet.
In der Öffnung der Figur ist die Abwesenheit des Gesichts ein zentraler Zug; in einigen Bildern ist es schwarz und weiß, oder hell und dunkel angedeutet – ein Teil liegt im Licht, ein Teil liegt im Schatten. Die teilweise Schwärzung des Gesichts bezieht sich auf die Pole des Erkennens und des Nichterkennens, und evoziert das Bleiweiß in der Malerei der frühen Renaissance, das im Alterungsprozess in ein Schwarz umschlägt, oxidiert. In anderen Bildern sind die Konturen des Gesichts noch weiter aufgelöst und es bleibt ein weißer Fleck, der auf die Quelle aller Möglichkeiten in der “inneren Schau” verweist und auf den Anfang im Sehen, auf das farblose Licht, das Weiß, aus dem sich durch spektrale Brechung die Farben differenzieren. In der Übersetzung der Heiligenbilder entsteht eine leere Stelle, in die hinein der Betrachter das Gesicht und die Gestalt figurieren kann; sie bilden sich im Prozess des Sehens, lösen sich auf und werden wieder neu gebildet. So kann die Figur allein in der Bewegung zwischen dem Erscheinen und Entfernen wahrgenommen werden: Es bleibt ihr Aufriss, der sich als etwas Gegenständliches auf einer Schwelle hält und darin das Sehen reflektiert.
In allen Katarakt-Bildern ist die Figur zentral, durch ein viel- schichtiges System von Farbkontrasten und Analogien von der Landschaft, die sie umgibt, getrennt und mit ihr zugleich verbunden. Das Farbregister hat gewechselt von der Pastorale zum Katarakt: es sind jetzt erdige, gedeckte Töne, die ein umgebendes, einfassendes Moment besitzen – Braun- und Olivschattierungen, verwaschene Blautöne und ein stumpfes Grün. Die Figur erscheint dagegen in Farben, die einen Abstand zur Umgebung bilden, eine Exposition; dunkel leuchtende Blauviolett-, Karmesin- und Orangetöne heben ihren zentralen Ort heraus und halten sie ständig in einer Spannung zu der Landschaft. In ihrer Farbform ist die Figur anziehend, durch ihre Schönheit einnehmend. Sie erscheint jetzt nicht mehr als Ruine, sondern als offene Möglichkeit, die der Betrachter für sich entwickeln kann. (-) *
KATARAKT
The last paintings of the Pastorale cycle hint at religious motifs, and are on a path towards displacing the sublime in modernism with an element of the sacred. Katarakt delves deeper into the history of seeing, going back to a point before landscape appeared as a subject of painting. The cycle develops a dialog with paintings of saints, as these appear in the early Renaissance – the Katarakt motifs take up Piero della Francesca’s painting of Saint Jerome, and the St. John motifs are related to the picture of the Baptist in the wilderness by Geertgen tot Sint Jans.
Katarakt does not quote the old painting of the saints nor does it place them into a new context. Instead it translates them – the imaginary predefined figure is opened up and dismantled. Often it is abstracted to the very edge of recognisability, until just something massive made up of colour and form appears, from which a concrete figure emerges little by little as one gazes at it.
The absence of a face is a central characteristic in opening up the figure; in some paintings it is suggested in black and white or in light and dark – one part lies in the light, another in shadow. The partial blackening of the face refers to the dichotomy of recognition and non-recognition, and evokes the white lead paint of early Renaissance painting, which changes into black, oxidizing as it ages. In other paintings the facial contours are still further dissolved and all that remains is a white spot, which refers to the wellspring of all possibilities within the “inner gaze”, and to the beginning in viewing, to the colourless light, white, from which all colours can be distinguished through refraction. In translating the paintings of saints an empty space is created into which the viewer can project the face and figure; these form in the process of viewing, dissolving and then arising once again. In this way the figure can be perceived solely in the motion between appearance and going away. All that remains is its outline, which remains on a threshold as something objective, and thereby emulates seeing.
In all of the Katarakt paintings the figure is central, and by means of a multi-layered system of colour contrasts and analogies is separated from but simultaneously connected with the landscape surrounding it. Between Pastorale and Kata- rakt the colour register has changed: now the tones are earthy and muted, and possess an encompassing, surrounding as- pect – brown and olive shading, washed out blues and a dull green. In contrast, the figure appears in colours which create a distance to its surroundings, a special lighting; darkly glowing violet-blue, crimson and orange tones stress its central posi- tion and hold it in a constant tension with the landscape. Its colourful form makes the figure appealing, and its beauty makes it captivating. It now no longer appears as a ruin but as an open possibility, which the viewer can develop for himself. (-) *
PASTORALE
Der Zyklus Pastorale ist ein Weg auf dem Grat zwischen der Farbe und ihrer räumlichen Bedeutung. Wo das Bild sich der Betrachtung öffnet, da beginnt eine Figur, oft auch eine zweite zu erscheinen, während sich die Tiefe einer Landschaft bildet: Hügel, Wiesen, Ebenen, Plateaus. Kurz bevor sich das Erscheinen abschließt, kurz bevor der Raum fest angeordnet ist, kippt die Landschaft aber ab: Die Perspektive löst sich auf und die Bedeutung bricht, geht zurück in die Textur der Farbe, die sich ausspielt, ihre Leuchtkraft feiert – sie baut in ihrer Schönheit eine Spannung auf, aus der die räumliche Bedeutung wieder neu erscheint. Und wieder kippen wird.
Eine ähnliche Bewegung hin und her hat Richter früher in der Malerei gezeigt. Sie ist dort aber mühsam zu durchlaufen, da sie etwas Unerfülltes hinterlässt – eine Forderung, die offen bleiben muss und so den Betrachter vorwärts zieht in der Zeit. Richters Malerei bewegt sich parallel zu Lacans Analyse eines Begehrens, das immer wieder nicht sein Ziel erreicht, da es das Reale nie ganz ins Symbolische aufheben kann. Beide halten an der modernen Klage über eine zentrale Leere fest.
In diese Konstellation trägt Brunsmann eine minimale Drehung ein, die der Malerei einen ganz neuen Horizont eröffnet. Die Bewegung wird nun nicht mehr aus ihrem Ziel bestimmt, sondern aus ihrem Anfang, der das Versprechen in sich trägt, dass immer wieder etwas Neues für den Blick erscheint: Wenn aus der Farbe ein Bild hervorgeht, das sich auflöst und anders wieder aufgebaut wird, dann ist das nicht mehr die Bewegung, in der das Begehren immer wieder nicht sein Ziel erreicht. Es ist eine Bewegung, die den Blick im Versprechen seines Sehens trägt, ihm einen Aufenthalt gibt.
Das Motiv der Pastorale-Bilder ist die menschliche Gestalt in einer Landschaft, fast immer sind es zwei Figuren in einer Art von Austausch. Die erste ist ausformuliert, die zweite meistens angedeutet, sie changiert und kippt. In Erntedank ist die Figur, die im Vordergrund etwas aufhebt, klar konturiert, in Erinnerung an Millets Angelus und Die Kornleserin. Hinter ihr erscheint ein Hochplateau mit einem Baum, links begrenzt durch eine felsige Abbruchkante. Weiter hinten trägt ein Fluchtpunkt die Proportion der Landschaft. In dieser Perspektive müsste die andere Figur links an der Felswand stehen. Sie bildet sich aber anders heraus als erwartet, kommt nach vorne und kippt in einer atemberaubenden Bewegung die ganze Räumlichkeit des Bildes. (---) *
PASTORALE
The Pastorale cycle of paintings walks a fine line between colour and its spatial significance. Where the painting opens itself to the viewer a figure begins to appear, and often a second one as well, while the depths of a landscape form: hills, meadows, plains and plateaus. Just before the appearance is complete and shortly before the space can be firmly grasped, however, the landscape slips away. The perspective dissolves and the meaning breaks up, receding into the texture of the paint which parades about, celebrating its intensity – creating a tension within its beauty, out of which the spatial meaning appears once more, only to slip away again.
Richter presented a similar back and forth movement earlier in painting. There it is difficult to follow, however, because it leaves behind something unfulfilled – a demand that must remain open, thus drawing the viewer forwards in time. Richter’s painting has parallels with Lacan’s analysis of a desire that repeatedly fails to reach its goal, because it can never completely dissolve the real into the symbolic. Both adhere to the modern lament over a central vacuity.
Into this constellation Brunsmann adds a minimal twist, which opens a completely new perspective for the painting. The motion here is no longer determined by its goal, but rather by its beginning, which bears as a promise that something new for the viewing will always appear. If out of the paint a picture emerges that dissolves and then reappears in a different form, then this is no longer a motion in which desire repeatedly fails to reach its goal. It is a motion that sustains the gaze in the promise of seeing, giving it a short sojourn.
The Pastorale paintings’ thematic motif is the human form within landscape, and the paintings almost always contain two figures in some type of exchange. The first is clearly formulated, the second generally implied: it oscillates and shifts. In Erntedank (Thanksgiving) the figure standing out somewhat in the fore- ground, clearly contoured, is reminiscent of Millet’s Angelus and Gleaners. Behind this figure appears a high plateau with a tree, bordered on the left by a rugged escarpment. Far to the rear a vanishing point yields the landscape’s proportions. In this per- spective the other figure should be standing to the left against the rock face, but it forms itself differently than expected, coming forward and tilting the picture’s entire spatiality in a breathtaking motion. (---) *
* Stefan Winter in: DISTORTED MEMORIES OF NATURE, 2012