Die Bilder aus der "Pro-Life" Serie sind grell, gewalttätig und bunt. So könnte man auf den ersten Blick meinen. Sie stürzen den Betrachter in ein großstädtisches Chaos, in deutsche Wirklichkeiten und eine Welt institutionalisierter Grausamkeit und gleichzeitiger Erstarrung. Zur Zeit der Entstehung stand die Welt unter dem Eindruck der durch "Nine-Eleven" herbeigeführten Kriege von Afghanistan bis Irak. Kriege, die zu einem Flächenbrand weiterer Kriege im nahen Osten führen würden, wie wir jetzt wissen. Flucht und Vertreibung, Rüstung und Militär, Reich gegen Arm, und mittendrin die Familie, der Mensch, Kinder.
Der Titel "Unterwegs nach Pro-Life" war als bewusste, poetische Gratwanderung gewählt, ganz in der Tradition provokanter Filmtitel wie "Faustrecht der Freiheit" von Fassbinder, der sich bereits auf "Faustrecht der Prärie", einen Spaghetti-Western bezog. Der Begriff "Pro-Life" führte zu einigen Irritationen, deswegen hier nochmal eine nachgereichte Bedeutungsklärung: "Unterwegs nach Pro-Life" bedeutet soviel wie "Unterwegs in den Faschismus" und war nicht als Verherrlichung der amerikanischen Abtreibungsbewegung gleichen Namens gewählt.
"Unterwegs nach Pro-Life" kombiniert die Intimität des geschützten Familienlebens mit der hereinbrechenden Wirklichkeit der Welt.
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Götter der Pest, 2003, 200 x 250 cm, Öl auf Leinwand |
ZUR ERKLÄRUNG
'Götter der Pest' - Was sieht man auf diesem Bild?
Eine Frachtmaschine des amerikanischen Militärs mit am Boden gefesselten afghanischen Kämpfern, wahrscheinlich handelt es sich um sog. Mudschaheddins. Diese haben Säcke über den Köpfen. Die Darstellung beruht auf dem ersten "geleakten" Pressefoto von gefangenen Kämpfern, die auf dem Weg in das berüchtigte Lager "Guantanamo" sind. Der Transport ging von Afghanistan über die Militärbasis in Deuschland weiter nach Cuba, wo sich das Lager befindet. Die Gefangenen werden an der linken und rechten Seite von zwei Figuren bewacht: eine Frau, dargestellt durch eine blaue Maske und einen Mann, dessen Gesicht in irisierenden Grüntönen beinhae nicht zu erkennen ist. Oben hängt eine Flagge mit einem goldenen Totenkopf, der eine Clownsnase trägt. Dieser Totenkopf stammt vom Cover des Albums "Cerebral Caustic" von der Band The Fall. - Eine Darstellung von privaten Lebensumständen als politisches Statement. |
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Die Reise ins Nichts, 2003, 180 x 160 cm, Öl auf Leinwand |
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Deutschland Unbekannt, 2003,150 x 200 cm, Öl auf Leinwand |
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Claus Brunsmann - Unterwegs nach Pro-Life (2003)
Die vom Berliner Künstler Claus Brunsmann (1966) für seine Ausstellung in Mailand präsentierten Bilder haben eine entschieden expressive und chromatische Kraft. Die verschiedenen Arbeiten beschäftigen sich zunächst mit Themen der Betrachtung der Metropole, besonders mit der Geschichte und der kulturellen Wirklichkeit Berlins. Die Titels selbst beziehen sich auf die Tradition der deutschen Hauptstadt, wie zum Beispiel in "Am Aschermittwoch ist alles vorbei" das sich an ein populäres Volkslied über den Karneval anlehnt: auf der rechten Seite des Bildes erscheint ein Engel in Rückenansicht, der ein Zitat aus Wim Wenders "Der Himmel über Berlin" sein könnte. Diese Engelsfigur, zwischen Wächter und Vernichter, scheint das Chaos der Metropole und die unentrinnbare Kommunikationslosigkeit zwischen den Individuen zu betrachten. Ausdrücklichere Bezüge auf Aspekte der zeitgenössischen Kultur, vor allem auf das Kino, findet man auch in den folgenden Arbeiten Claus Brunsmanns. In dem Werk "Die Frau im Jasmin" paraphrasiert der Künstler den Titel des Buches von Unica Zürn "Der Mann im Jasmin" (1977), während in "Götter der Pest" er nicht nur den Titel des Films von Fassbinder (1969) übernimmt. In diesem Bild erscheint in einem geräumigen dunklen Interieur eine Gruppe gefesselter Personen, deren Gesichter man nicht erkennen kann, während darüber ein beunruhigendes Gesicht mit roter Clownsnase erscheint.
Claudia Marfella - Flash Art | Februar-März 2004
Austelllungsansicht in der Galerie Salvatore+Caroline Ala, Mailand, Januar 2004
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Amok, goldene Stadt, 2003, 300 x 200 cm, Öl auf Leinwand |
ZUR ERKLÄRUNG
'Amok, Goldene Stadt' - Was sieht man auf diesem Bild?
Das Café Moskau am Berliner Alexanderplatz. Scheinbar findet ein Anschlag statt, alles liegt im grellen Licht von Feuer und Explosion. Zwei Autos stehen vor dem Gebäude. Der rechte Mercedes ist vom Schauplatz der Schleyer-Entführung, Startsignal für den 'Deutschen Herbst' 1977. Der linke Wagen ist der bei islamistischen Kämpfern beliebte Toyota-Pickup. Nur bevorzugen diese normalerweise schwarze Autos. Das Gesicht, das in den Flammen auf der rechten Seite in Fragmenten erscheint, ist das eines australischen Feuerwehrmannes während der in dem Jahr stattfiindenen Waldbrände. Der Bildtitel bezieht sich auf den von Veit Harlan inszenierten UfA-Film "Die goldene Stadt" von 1942, ein sogennanter 'Durchhaltefilm'. Dies ist dann eben ein 'Durchhaltebild', sozusagen. |
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Am Aschermittwoch, 2003, 300 x 200 cm, Öl auf Leinwand |
ZUR ERKLÄRUNG
'Am Aschermittwoch' - Was sieht man auf diesem Bild?
Ein Parkplatz oder ein Hinterhof in einer Industriesiedlung. Zwei Schulkinder warten auf den Bus. Von hinten nähert sich ein Mann mit einem weißen Smokingjackett und Engelsflügeln. Diese Figur nahm ich von einem Foto auf der Rückseite der The Fall Albums "Cerebral Caustic". Sie vereint die positiv besetzten Engelfiguren aus dem Film "Der Himmel über Berlin" mit der Figur eines negativ besetzten "Todeseengels". Es könnte sich aber auch um einen Schutzengel handeln. Dem würde allerdings der Titel des Bildes widersprechen: er nimmt Bezug auf den Kanevalsschlager "Am Aschermittwoch ist alles vorbei". Mark E. Smith ist inzwischen auch schon tot. |
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Unter anderen Umständen, 2003, 200 x 180 cm, Öl auf Leinwand |
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Das Wesen der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild
Zur Ausstellung "Unterwegs nach Pro-Life"
Nach seinen Untersuchungen zur Geschichtlichkeit der Malerei, die im Sommer 2000 mit der Bildserie "Transporter/Recorder" in der Galerie Salvatore + Caroline Ala in Mailand präsentiert wurden, zieht der Berliner Maler Claus Brunsmann (*1966) nun die Konsequenz aus den Ergebnissen seiner Analyse der historischen und gesellschaftlichen Bedingungen von Malerei und präsentiert unter dem Titel "Unterwegs nach Pro–Life" eine Serie von figurativen Gemälden aus dem Jahr 2003.
Mittelpunkt der Ausstellung ist eine Reihe von großformatigen Werken, deren Bildtitel bereits die inhaltliche Ausrichtung dieser malerischen Neuorientierung bestimmen: "Götter der Pest" zeigt eine Gruppe von marionettenartig aneinander geketteten, vermummten Gestalten, die in einem düsteren, nur von einem giftgrünen Lichtschein erhellten Kerker reglos ihr Schicksal zu erwarten scheinen. Unter dem Banner einer goldglühenden Fratze, die wie ein illuminierter Totenkopf wirkt, treten sie eine Reise ins Ungewisse an. Das Motiv der Gefesselten tritt auch in anderen Gemälden zu Tage: In "Die Reise ins Nichts" oder "Faust-Fachwerk" erscheinen die Vermummten in wechselnden Konstellationen, als vermeintlich rudernde Galeerensträflinge in freier Natur oder in sinnlosen, ohnmächtigen Auseinandersetzungen befangen, welche vor idyllischer, altdeutscher Kulisse ihren Überlebenskampf führen, letztlich aber reglos in ihrer Zerbrechlichkeit der Gewalt ausgeliefert sind. Auch in "Amok, goldene Stadt", einem Zerrbild der großstädtischen Realität, mit angedeuteten Autounfällen und vernebelten Explosionsblitzen, angesiedelt in einem fragmentarischen Architekturambiente, welches den Berliner Alexanderplatz als Ruinenwert zitiert, beschreibt der Künstler eine aus den Angeln gehobene, in ihrem eigenen Chaos versinkende Gesellschaft. Die Indifferenz der großstädtischen Beziehungslosigkeit, erscheint in dem nach einem deutschen Karnevalsschlager betitelten Werk "Am Aschermittwoch ist alles vorbei" in der zweideutigen Figur des Schutzengels, der die Kinder beim überqueren einer befahrenen Straße in den abendlichen Stunden eines trostlosen Randbezirks, zwischen Parkplatz und Sportplatz, nicht mehr zu schützen weiß und im selben Moment auch ein Todesengel sein könnte, ein betrunkener Widergänger unter vielen verlassenen verkleideten Gestalten am Ende eines ausklingenden Volksfestes.
Einige der in der Galerie Ala zum ersten Mal präsentierten Arbeiten, verweisen bereits in ihrem Titel auf Bücher, Filme oder Lebensläufe, die für Claus Brunsmann von Bedeutung sind und welche die von ihm neu entwickelte Bildsprache unterstreichen. "Götter der Pest" ein Fassbinder-Film von 1969, der das Schicksal von Haftentlassenen bei der Suche nach einem Lebensinhalt in einer ihnen gegenüber feindlich eingestellten Gesellschaft beschreibt; "Man ist nicht nur ein einzelner Mensch" nach Fontanes Roman Effi Briest, verweist in einer Gruppenszene von drei sich gegenüberstehenden Männern auf eine Konfrontation in Form eines entleerten Rituals. "Die Frau im Jasmin" zeigt eine Begegnung im Park zwischen einer Frau in einer strahlend weißen Weste und einem klassisch rot-weiß karierten Rock, die einen aus dem Dickicht eines blütenbestandenen Strauches in Erscheinung tretenden Mann zu mustern scheint. Verwirrend hockt ein kleiner Cupido als Wahn-Einflüsterer an ihrem Rockschoß und verweist auf das im Titel angedeutete Drama. "Unterwegs nach Pro-Life" erweist sich in Brunsmanns neuen Arbeiten als dornenreiche Reise, beginnend in glühenden Kinderbildern von entzündeter Farbigkeit, als isolierte Figur im Bildmittelpunkt, gefangen im vom Wasser reflektierten Spiegelbild; in Bildern scheinbarer Fachwerkhaus-Idyllen ("Nach der Flut"), wo Menschen zu kleinen glimmenden Glühwürmchen schrumpfen, in erstarrten architektonischen Räumen eines "Modernen Museums", einem Ort, an welchem sich das Wesen der Neuzeit als die Eroberung der Welt als Bild erweist. |
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Der Mann im Jasmin, 2003, 190 x 150 cm, Öl auf Leinwand |
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Faust-Fachwerk, 2003, 170 x 150 cm, Öl auf Leinwand |
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Brandstifter, 2003, 200 x 150 cm, Öl auf Leinwand |
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Modernes Museum, 2003, 200 x 150 cm, Öl auf Leinwand |
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Nach der Flut, 2003, 200 x 150 cm, Öl auf Leinwand |
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Sommer, 2003, 150 x 110 cm, Öl auf Leinwand |
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